Wir müssen ihre Botschaften hören und verstehen. Im übertragenen Sinne heißt das, Ornamentik sowie Zeichen deuten, Inschriften lesen und übersetzen. Durch den Grabstein und seine oft poetisch verfasste Inschrift erfahren wir mehr über den Verstorbenen.
„Es sind steinerne Geschichtsblätter“ und gleichzeitig Spiegelbilder einer Gesellschaft, so Stadt- und Museumsführerin Evamaria Bräuer. Häufig sprechen Allegorien von religiösen Ämtern oder Verdiensten des Verstorbenen: die Kanne der Leviten, die segnenden Hände der Aroniten (Kohanim), das Widderhorn für einen Schofarbläser. Das Interesse der nachkommenden Generationen ist groß. Aus aller Welt reisten in vergangen Jahren Gäste an, um die Ruhestätten ihrer Vorfahren zu besuchen. Der Friedhof in Gerolzhofen wurde von den umliegenden Kultusgemeinden gemeinsam genutzt. Erfreulich ist auch das Interesse der Schulen, die begleitend zum Geschichts- und Religionsunterricht Rundgänge wünschen.
Zum Tag der jüdischen Kultur, der in 30 europäischen Ländern veranstaltet wird, boten die VHS Gerolzhofen gemeinsam mit dem KulturForum e.V. einen Rundgang über den Distriktsfriedhof in Gerolzhofen. Cornelia Kröber, Leiterin der VHS, konnte zahlreiche interessierte Gäste begrüßen. Evamaria Bräuer nannte Zahlen und Fakten des im frühen 17. Jahrhundert angelegten Areals. Seine Stadtrandlage entspricht sowohl der religiösen Bestimmung, wonach jüdische Begräbnisplätze extra muros zu liegen haben, als auch der damaligen Ausgrenzungstendenz. „An diesem steilen Nordhang konnte nicht einmal Wein gedeihen “ also hat man das wenig fruchtbare und schwer zu bearbeitende Grundstück damals den Juden überlassen. Der Kauf eines Schutzbriefes, ein Rechtsprinzip seit der Antike, war obligatorisch. Eine Abgabe an den Landesherrn, welche die freie Religionsausübung gewährleisten sollte. Trotzdem wiederholten sich Schändungen erklärte Evamaria Bräuer. Sie beschäftigt sich seit fast 30 Jahren mit der Stadtgeschichte und immer wieder finden sich neue Details. So wird im November ein neuer Band „Mehr als Steine“ mit einem umfangreichen Kapitel zur ehemaligen Gerolzhöfer Synagoge und denen des Umlandes erscheinen. Das KulturForum plant für 2021 dazu einen Vortrag.
Anhand von Tier- und Pflanzen Darstellungen, wie Hirsch, Löwe, Adler, kann oft der Bezug zu den später gewählten Familiennamen abgeleitet werden. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts mehren sich Steine, wo zur hebräisch beschrifteten Vorderseite eine deutsche Inschrift auf der Rückseite oder im Sockel tritt. Das erleichtert uns heute die Identifizierung des Grabes erheblich. Bedauerlicher Weise existiert kein historischer Belegungsplan. Das verwendete Steinmaterial war meistens regionaler Sandstein und Muschelkalk in Stelen Form mit Rundbögen. Granit Obelisken sind spätere Ausnahmen, die eine Annäherung an die nichtjüdische Umgebung dokumentieren. Ein deutliches Geschichtsbild zeigt auch die unbelegte Erweiterungsfläche auf dem Hügel. Hier wird das gewaltsame Ende der jüdischen Gemeinden ab 1942 deutlich sichtbar. Wissen um das Geschehene wird aktuell und künftig immer wichtiger, besonders weil es keine Zeitzeugen mehr geben wird. Das Vorstandmitglied des KuFo Gerolzhofen, Bernhard Schwab, dankte Evamaria Bräuer für die informativen, teilweise berührenden Ausführungen und lud zur gemeinsamen Veranstaltung, #we remember, in Gerolzhofen im November. ein.
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